Der Auftakt

Ede zerrt und zerrt. Ich komme mir vor wie beim Viehtrieb. Ein Viehtrieb, dessen Ziel die Schlachtbank ist. Sechs Leute kommen schließlich zusammen. Zum Abschuss freigegeben.

Der Bahnhof

Vor vielen Jahren schrieb Frank Sahlender etwas über die Lübecker Vorbereitung in einer Berliner Kneipe, die sich durch eine „anheimelnde Bahnhofsatmosphäre“ auszeichnete. War Ede dabei? Muss man sich deshalb am Bahnhof treffen? So viele Menschen. Kalt ist es auch, nicht nur zwischenmenschlich. Züge fahren wohl auch nicht. Ich überlege, ob ich nicht den Bus nehmen sollte, der am Vorplatz steht. Wäre auch mal eine Erfahrung. Ede kommt zu spät, weil Michael zu spät kommt.

Die Fahrt

Ich bin eine Ölsardine. Die Fahrt zu fünft ist schrecklich. Aus den Lautsprechern klingt chorale Musik. Im Dunkeln auf der Straße wähne ich mich wieder auf dem Weg zur Schlachtbank. Ich mach lieber die Augen zu.

Die Brücke

Am Ende der Autobahn soll Fehmarn liegen. Die Töne aus den Lautsprechern verändern sich. Es wird flotter. Aber nach dem choralen Singsang klingt es in meinen Ohren in etwa so: „Dingdong, die Hex ist tot.“ Fröhlich macht mich das nicht.

Die Vergangenheit

In meiner Zeit in Brandenburg habe ich verschiedentlich Gemeindevertretersitzungen besucht, die in der Regel in irgendwelchen Kulturhäusern stattgefunden haben. Es gab auf den Straßen kein Licht, kaum Straßenschilder und schon gar keine Leuchtreklamen an den Häusern, falls diese überhaupt zu sehen waren hinter den mauerhohen Gartenzäunen. Die Kulturhäuser waren nicht auszumachen. Menschen auf den Straßen – Fehlanzeige. Fehmarn kommt mir abends immer wieder ähnlich vor. Mitten in Burg setzt Edes Navi aus. Wir sind am Ende.

Die Katze

Dank Stefan Gosch erreichen wir doch noch das Altenheim. Der Schachclub Fehmarn hat sein altes Spiellokal wieder, das Café „Süße Sünde“. Die braunweiße Katze gibt es in dem Haus noch. Bei unseren letzten Besuch hatte sie noch einen Liegeplatz auf dem Aquarium. Auch das ist noch da, nur die Katze liegt woanders. Ich nehme wieder auf einer Art Sofa-Bank im Café Platz. Jan Haserodt macht uns klar, dass wir mit moderner Technik nur verlieren können, während im Foyer noch ein Ballwurfspiel stattfindet. Zumindest Ede ist diesmal ganz sicher, sein Handy im Auto gelassen zu haben.

Die erste Partie

Ede überrennt seinen Gegner Horst Böhnke, heimst einen Bauern ein. Er dürfte rund ein Dutzend Züge nach der Eröffnung auf Gewinn gestanden haben. Dann ein Fehltritt und Ede wird fulminant plattgetrampelt. Unerwartet.

Das Tempo

Fehmarn steht für langes Leiden. Lang ist die Anfahrt, noch länger die Rückfahrt. Anfangs wird schnell gespielt, dann verlangsamt sich meist das Tempo. Vor Mitternacht kommt man meist nicht aus dem Haus. Diesmal wird schnell gespielt.

Die zweite Partie

Werner und Thomas Kohrn fegen die Figuren nur so vom Brett bis zum Bauernendspiel. Werner schiebt seinen Freibauern vorwärts. Es ist schnell zu sehen: Der Freibauer wird fallen, dafür werden weitere Bauern abgeholzt. Gefühlt wird Werner mit einem Bauern zurückbleiben, der nicht mehr aufzuhalten sein wird. Zwei Spieler, ein Gedanke, eine Aufgabe.

Der Automat

Ich habe Durst und kaufe eine Flasche Wasser am Automaten, solche Dinger stehen auch am Bahnhof. Energydrinks gibt es auch. Sekt und Einwegzigaretten ebenfalls. Das alles lasse ich für die Bewohner der Einrichtung zurück, ich kaufe Wasser.

Die dritte Partie

Ich weiß nicht genau, wie Michael gegen Karsten Lafrentz zu seiner Mehrfigur gekommen ist. Ein Turmrückzug lockt den Fehmarneraner dann noch zu einem unbedachten Fehlzug – Michael schlägt auf f2 mit der Dame ein, Matt ist unabwendbar. Es ist mal gerade eben etwas nach neun Uhr.

Die Unterhaltung

Früh hatte ich zu Martin geraunt: Wir sind eine ganz schwache Mannschaft geworden. Immerhin lagen wir schon wieder im Rückstand. Später betrachte ich die DVD-Sammlung im Cafè: Eine Rühmann-Kollektion, eine Otto-Kollektion, Kaminfeuer, John Wayne, deutsche Familienfilme und Musik-Konzerte-sowaseben. Draußen liegt kaum Schnee. So weit kann ich jedenfalls aus dem Fenster sehen.

Die vierte Partie

Stefan hat gegen Günther Schulz ebenfalls eine Figur mehr. Was mache ich eigentlich falsch? Und ja, ich meine das mit dem Schach, den Rest weiß ich selber. Es dauert auch nicht mehr lange und wir führen nun 3:1.

Der Ochsenziemer

21.52 Uhr sage ich zu Ede: Ihr könnt doch schon nach Hause fahren. Ede will Nachricht erhalten, wie es ausgegangen ist. Und er will das, was ich gerade mache. Kommod ist seine Wortwahl, seine Augen sind eiskalt. Ich sag Ja. Was soll ich auch sonst tun. Ich hätte es mir auch sparen können, das Ja. Ede ist wie Ja, nur krasser.

Die fünfte Partie

Martin und ich bleiben zurück. Der Rest der Mannschaft ist noch nicht lange weg, da bietet mir Ulrich Jäger ein Remis an. Ich glaube, ich habe in der Partie recht viel fehl eingeschätzt. Später werde ich mit Martin über Schach im Alter philosophieren. Ich fühle noch mal in den Kopf hinein – nein, der Kamm schwillt mir nicht. Ich sichere den Mannschaftssieg ab.

Der Unterzug

Wird es eine lange Nacht auf Fehmarn? Das Glück bevorzugt den, der vorbereitet ist. Ich sitze auf einer Polsterbank und schaue der letzten Partie zu. Irgendwann stehe ich mir Martin zusammen. „Weiß du, wir haben doch schon gewonnen. Ich glaube, ich biete Remis an.“

Die sechste Partie

Ich kann mich an kaum eine Partie erinnern, in der Martin eine so klar einfach strukturierte Stellung auf dem Brett stehen hatte und in der er nicht in horrender Zeitnot gewesen ist. Das Remisangebot tat mir fast ein wenig weh. Jan Haserodt dachte zwar noch 20 Minuten über die Annahme nach, aber wahrscheinlich dürfte er mit dem halben Punkt am Ende noch gut bedient gewesen sein.

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Das Ergebnis

4:2 für LSV VIII gegen SC Fehmarn

Der Ausblick

Jan Haserodt schüttelt bedenklich den Kopf. Diese Spielzeit kostete im Vorfeld viel Kraft. Wird der Schachclub in der nächsten Saison noch eine Mannschaft stellen? Bitte unbedingt, auch wenn die Reisen von und nach Fehmarn fürchterlich sind.

Der Himmel

Auf der Rückfahrt leuchtet der zunehmende Mond. Darunter kann man offenbar, wenn ich das so richtig gedeutet habe, den Uranus erkennen. Der Streuwagen lenkt meine Aufmerksamkeit ab. Martin ist froh, dass ich mitfahre. „Es war ein laaanger Tag, alleine hätte ich nicht zurückfahren wollen.“

Das Ende

Das Ziel ist für der Bahnhof. Mein Fahrrad ist total eingeschneit. Ich habe noch einen Weg vor mir, spät in der Nacht bin ich zu Hause. Ich sehe noch nach den Ergebnissen von Wijk an Zee. Das gute Schach – es ist so weit weg von mir.