Schach doch nur ein Glücksspiel?

In meiner Jugend habe ich ganz und gar an die Logik geglaubt. Jedes Problem sollte sich auf irgendeine Art und Weise logisch lösen lassen. Insofern waren Schach und Mathematik meine beiden Hauptleidenschaften. Die Mathematiker wissen allerdings spätestens seit Kurt Gödel, dass es Probleme gibt, die sich nicht entscheiden lassen. Als mir dies während meines Mathematikstudiums bekannt wurde, war einer meiner Gedanken in Anlehnung an einen bekannten Weltmeisters "Jetzt bleibt mir nur mehr das Schachspiel!". Natürlich wurde mir mit den Jahren  klar, dass sich auch im Schach nicht immer alles nach strenger Logik entwickelt. Aber spätestens mit unserem letzten Mannschaftskampf gegen die Schachfreunde HH, ist mir wieder klar geworden, dass Schach doch nur ein Glücksspiel ist.

Diesmal war ich sehr mit meiner eigenen Partie beschäftigt, weshalb ich hier nur kurze Eindrücke des Mannschaftskampfes wiedergeben kann. Am 1. Brett geriet Michael gegen Frank Sawatzki vermutlich auf Grund eines ungenauen Zuges im Übergang Eröffnung/Mittelspiel in eine schwierige Stellung. Zeitweise schien es dann, dass er Gegenspiel bekam und auch das bereits verloren geglaubte Endspiel barg vermutlich noch Remischancen, aber letztlich gewann der Hamburger dem Verlauf nach verdient.

kreuz

Nicht viel passierte am 2. Brett zwischen Martin und Uwe Bockelbrink. Zeitweise hoffte ich, dass Martins Läuferpaar vielleicht noch etwas bringt, aber letztlich blieb die Partie auf Ausgleichsbreite und man einigte sich nach 30 Zügen auf Remis. Die erste Zufallspartie ereignete sich dann am 3. Brett zwischen Jan-Paul Ritscher und Alexander. Immer wenn Alexander Grünfeld-Indisch aufs Brett bekommt, bin ich beruhigt und zähle bereits einen 3/4-Punkt an seinem Brett. So auch dieses Mal. Jan-Paul baute sich sehr passiv auf, Alexander übernahm schnell die Initiative und überspielte seinen Gegner in "gewohnter Manier". Doch irgendwo muss Alexander sich verrechnet haben, denn als ich nach der Zeitnotphase wieder auf sein Brett blickte, hatte er eine Qualität weniger und stand für mein Gefühl auf Verlust. Irgendwie hat er es dann aber geschafft, alle Bauern vom Brett zu bekommen und so blieb Jan-Paul mit Turm gegen Springer nur der halbe Zähler. Haralds Partien sind für mich immer schwer zu verstehen. Steht er gut, steht er schlecht. Zumindest spielt er immer mit Idee. Offenbar waren seine Ideen besser als die von Hans Hermesmann, so dass wir an diesem Brett einen vollen Zähler für uns verbuchen konnten.

riess schmidt

Abenteuerlich wurde es dann wieder am 5. Brett zwischen Marc Klünger und Ralf. Was in der Eröffnung genau passierte, kann ich nicht genau wiedergeben. Zunächst dachte ich, Ralf steht etwas schlechter, doch plötzlich konnte er seinem Gegner eine Qualität abknöpfen. Ob es dann nötig war, dass er diese wieder zurück gab, um dann mit einem Plusbauern in ein Doppelläufer-Doppelläufer-Endspiel zu gehen, weiß ich nicht. Aber das schien Ralf gut im Griff zu haben und ich hatte fast schon den vollen Punkt notiert. Leider spielte Ralf dann in der letzten halben Stunde doch ungenau, sein Gegner konnte die letzten Bauern vom Brett beseitigen und es blieb Ralf nur bei Läuferpaar gegen Läufer ins Remis einzuwilligen. Bunt war es auch in der Partie von Dirk gegen Marco Jaeckle. Dirk spielte für mein Gefühl relativ zahm, was es Marco erlaubte, die Initiative zu übernehmen, was seinem kreativem Stil sehr zu gute kommt. In Zeitnot konnte Dirk die Stellung um seinen König dann nicht mehr zusammenhalten und verlor.

Und meine Partie? Pures Glückspiel! Kennt jemand die Partie Kottnauer-Kotov aus dem Match Prag - Moskau, 1946? Diese Partie mit einem unklaren Läuferopfer auf h7 - sehr spannend! - war Gegenstand meines Kadertrainings am Tag zuvor. Das inspirierte mich dazu, es doch einmal mit der Meraner Variante der slawischen Verteidigung zu versuchen. Natürlich ohne weitere theoretische Kenntnisse außer der besagten Partie. Florian Kull schien zu ahnen, dass ich nichts von der Eröffnung verstehe und wich im 8. Zug ab, indem er mit dem Läufer nach e2 statt nach d3 zurück zog. Wenn man sich mit den Feinheiten dieser Eröffnung nicht auskennt und auch am Brett zu faul ist, sich damit zu befassen, kann es einem passieren, dass man schnell in eine Verluststellung gerät. So kam es denn auch. Nach bereits 12 Zügen stand ich so schlecht, dass ich beschloss - ist die Stellung ruiniert, spielt es sich völlig ungeniert - alles auf eine Karte zu setzen. Dann geht es wenigstens schnell und ich brauche nicht lange leiden, dachte ich mir. Allerdings wurde weder meine Stellung besser noch konnte ich schnell aufgeben. Um Zug 15 herum stand ich vermutlich völlig auf Verlust, aber Florian nutzte seine Chancen nur insofern, dass er weiter Material einsammelte und auf Stellungssicherung zu spielen, statt mich gleich zu erlegen. Als ich um Zug 20 immer noch lebte, beschloss ich nicht mehr darauf zu achten, dass ich einfach zwei Bauern weniger hatte und mir einzubilden, mit Figurenaktivität könne man das alles schon irgendwie wett machen. Das scheint dann geholfen zu haben. Ich stand zwar nach wie vor auf Verlust, aber Florian lies weitere Chancen aus mir schnell den Gar aus zu machen und beging dann sogar einen groben Fehler. Das Blatt wendete sich. Ich ließ dann zwar auch noch einmal Luft herein, aber Florian nutzte auch diese Chance nicht, so dass ich schließlich im Königsangriff gewinnen konnte.

Ich hatte in dieser Saison schon die ein oder andere Chance auf einen vollen Punkt vergeben. Das hat mich meist kräftig geärgert. Hier nun eine völlig vermurkste Partie gewonnen. Doch so richtig Freude darüber konnte bei mir nicht aufkommen. Schach doch nur ein Glücksspiel?

linke reihe

Wer hier noch meine Partie erwartet, den muss ich vorerst enttäuschen. Ohne eine entsprechende Kommentierung kann man soetwas einfach nicht zeigen. Sobald ich etwas Zeit dafür habe, hole ich das ggf. noch nach. Ansonsten empfehle ich bis dahin oben genannte Beispielpartie!

Und am 8. Brett? Da war aus meiner Sicht nicht viel los. Ullrich hatte gegen den Leningrader Holländer von Jürgen Dietz frühes b4 vorbereitet. Aber Jürgen parierte aus meiner Sicht interessant und gut und so kam die Partie nie über die Remisbreite hinaus. Friedensschluss nach 24 Zügen. Und mit einem Friedensschluss endete damit auch der Kampf zwischen LSV I und den SF HH.

(Photos J.-H. Plackmeyer)