Gegen Doppelbauer mit langer Unterhose oder Nierenwärmer? Das war die etwas launige Frage am Ende meines letzten Berichtes. Ursache hierfür war natürlich der skurrile Spielabbruch in der Partie Doppelbauer Kiel gegen Bargteheide aus dieser Saison. Viel, vor allem viel Unterschiedliches hat man ja bereits davon gehört.

Die Gäste sprachen von unzumutbaren Spielbedingungen. Von eisigsten Temperaturen war die Rede, die in der Arktis wohl zu einem verstärkten Eisbäreneskapismus geführt hätten. Die Gastgeber hingegen sahen sich von dunklen Gestalten bedroht, die mit Schlapphüten und Thermometer bewaffnet den Spielsaal stürmten, um in bester NSA Manier sämtlicher Thermodaten habhaft zu werden. Mittlerweile schlägt die Sache hohe Wellen. Die Kakophonie unter den üblichen MeinungsVIPs ist groß, die Gräben zwischen den beiden Vereinen tief und die Fronten verhärtet. Nun hat der Landesturnierleiter Heiko Spaan eine Entscheidung getroffen. Wiederholungsspiel in Bargteheide mit exakt den gleichen Aufstellungen bei einer eins zu null Führung für Bargteheide, da Doppelbauer nur zu siebt angetreten war. Zudem eine Zeitstrafe für Doppelbauer und dies alles unter Aufsicht eines neutralen Schiedsrichters. Mit diesem Procedere sind beide (!) Vereine nicht einverstanden und haben bereits ihren Protest angekündigt. Aber wäre diese Entscheidung denn auch eine kluge, weise oder geradezu salomonische gewesen? Ehrlich gesagt weiß ich es nicht. Ich war ja nicht dabei und kenne aus beiden Teams genügend honorige und integre Menschen, bei denen ich nicht den geringsten Anlass hätte, ihre jeweilige Darstellung in Zweifel zu ziehen. Letzten Endes bleibt die Wahrheit eben bisweilen eine Sphinx. Man wünscht doch allen Beteiligten ein Mehr an Gelassenheit. Recht zu haben ist einfach schlecht fürs Karma und wer will schon als lesbische Alkoholikerin in Saudi-Arabien wiedergeboren werden…

Als Kapitän, der Mannschaft, die als erste nach diesem Vorfall bei Doppelbauer zu Gast sein sollte, hatte ich natürlich die Aufgabe, mich mit dieser Thematik auseinander zu setzen. Also noch einmal die Frage: lange Unterhose oder Nierenwärmer? Antwort: keines von beiden! Bekanntermaßen neigt der Mensch dazu, einen einmal gemachten und als solchen auch anerkannten Fehler im zweiten Anlauf deutlich überzukorrigieren. Wenn man beim Boule etwa seine erste Kugel 4 m zu kurz an der Sau (der kleinen Zielkugel) platziert, dann ist es gar nicht so unwahrscheinlich, dass die zweite Kugel meilenweit über das Ziel hinausschießt. Man will halt zeigen, dass man lernfähig ist. Dies berücksichtigend, ging ich fest davon aus, dass die zu erwartende Temperatur im Spielsaal sich auf mindestens 42° plus beläuft.  Eigentlich ja wohl unnötig zu erwähnen, dass ich natürlich kein Thermometer mit mir führte. Allein schon deswegen, weil ich gar nicht gewusst hätte, wie ich dies in einem solchen Fall bedienen sollte. Wahrscheinlich hätte ich es mir vor Ort aus alter Gewohnheit einfach in den Hintern gesteckt.

Aber nun genug davon. Natürlich waren die Spielbedingungen völlig in Ordnung und wir konnten uns voll auf das Schachspielen konzentrieren. Und das haben wir dann auch getan und zwar verdammt gut. 5,5:2,5! Ein ungefährdeter Sieg gegen einen nominell sich auf Augenhöhe befindenden Gegner.

Am Spitzenbrett ging es gleich mal hoch her. Mats Beck hatte seinen Königsflügel provokativ gelockert, was Michael Ehrke zu einem Figurenopfer verleitete. Michael hatte sich einen instruktiven Plan fürs Mattsetzen zurechtgelegt. Aber der Kieler wusste dies zu verhindern und verblieb letztlich mit einer Mehrfigur. Die nachträgliche Analyse zeigte, dass Michaels Intuition ihn nicht getrogen hatte. Bei exaktem Spiel wäre der Angriff durchgeschlagen. Aber auch so war die Sache noch lange nicht vorbei. Michael beharkte weiterhin den gegnerischen König und es kam zu einem Remis durch Dauerschach, was allerdings zugegebenermaßen nicht zwingend gewesen war. Trotz aller Ungenauigkeiten eine aufregende Partie voller Verve und Kreativität. Und wer mir jetzt wieder mit dieser toten Blechbüchse namens Fritz kommen will, der muss dann eben ohne Abendbrot ins Bett. 0,5:0,5

Als ich nach etwa zehn Zügen die Stellung von Stephan Schiebuhr gegen Christopher Petersen sah, stellte ich mir die Frage, ob Schiebi vielleicht einen geheimen Deal mit Thomas Thannheiser geschlossen hatte. Es schien mir so als ob Stephan für die im LSV durch Thomas regelmäßig durchgeführten Problemlöseturniere eine besonders schöne Retroschachaufgabe komponieren wöllte. Sämtliche seiner Steine befanden sich nämlich auf seinen beiden Grundreihen. „Das ist eine Empfehlung von IM Seel.“ raunte Schiebi mir zu, “er sagt da hat man als Schwarzer völligen Ausgleich.“ Eine Stunde später fügte er hinzu: „Völliger Ausgleich! Das kann man wohl sagen! Das ist so ausgeglichen, dass überhaupt niemand auf Gewinn spielen kann! Das spiele ich nie wieder!“ 1:1

Wolf Reimer verfügt über ein sehr ausgefeiltes Eröffnungsrepertoire. Meistens ein wenig neben den Hauptvarianten aber alles andere als unseriös und voller Gift. So auch sein Vierbauernangriff mit vorher eingeschaltetem Lg5 gegen Königsindisch. Ich habe ihn mit dieser Variante schon viele Kurzsiege feiern sehen. Ganz so arg wurde es für Marthe Benzen am Sonntag nicht. Aber sie schien doch überrascht durch Wolfs Eröffnungswahl, agierte ein wenig unglücklich und befand sich schon bald in stürmischer See. Zu allem Überfluss lehnte Wolf dann auch noch die Hauptrolle in „Der letzte Gentleman“ ab, um sich lieber als Kapitän Hook zu verdingen. Bösewichte werden eben besser bezahlt. 2:1

Auch ich hatte meinen Gegner Julian Rieper durch meine anspruchslose Eröffnungsbehandlung zum Nachdenken gebracht. Er versuchte mich mit sehr prinzipiellem und direktem Spiel zu bestrafen. Aber das war verfrüht. Als Weißer kann man sich eben das eine oder andere erlauben. Und so sah sich mein Gegner gezwungen, zwei Figuren gegen einen Turm und Bauern zu geben. Wie so häufig waren auch in diesem Fall die beiden Figuren stärker. Als ich durch eine taktische Unachtsamkeit einen zweiten Bauen geben musste war die Sache dann nicht mehr ganz so klar. Objektiv war die Stellung vielleicht sogar ausgeglichen. Aber bei knapper werdender Zeit hatte ich klare Angriffsziele und natürliche Züge und mein Gegner eben nicht. Bei einer solchen Konstellation kollabieren Stellungen schon gerne mal. 3:1

Es gibt Vereine, die sind unabsteigbar, wie zum Beispiel der HSV. Es gibt Spieler, die sind unschlagbar wie zum Beispiel Ulrich Sieg. Es gibt Stellungen, die sind unverlierbar wie zum Beispiel Ulis gegen Bülent Saglan. Es gibt gute Gründe, warum ich schon am Sonntag beschlossen hatte, demnächst beim Buchmacher meines Vertrauens höhere Beträge auf den Abstieg des HSV zu setzen. 3:2

Tigran Poghosyan schnappte sich schon früh in der Eröffnung einen Bauern, woraufhin sein Gegner Alexander Pluska sehr erfindungsreich versuchte, unter Beweis zu stellen, dass es sich hierbei nicht um einen plumpen Einsteller gehandelt hatte, sondern um ein sehr sehr langfristiges Bauernopfer. Die Sache wurde immer komplizierter und verworrener. Irgendwann hatten alle Anwesenden im Raum den Überblick verloren. Alle, bis auf einen! 4:2

Michael Lucas sah sich in seiner Partie gegen Sebastian Buchholz mit einem Doppelfianchetto in der englischen Partie konfrontiert. Normalerweise eine wirklich zähe Angelegenheit. Aber Michael drückte die Risikotaste und spielte so aggressiv wie nur möglich. Zwischendurch sah es ziemlich zweischneidig aus. Aber je länger die Partie dauerte, desto mehr war Michael am Drücker. Das Ende war dann wirklich hübsch. 5:2

Letztlich blieb noch die Partie zwischen Frederik Svane und Alexander Petri. Es kam zu einer Hauptvariante im Caro Kann mit Lf5. Als ich noch jung war, war es eigentlich selbstverständlich in dieser Variante, dass beide Seiten lang rochieren. Mittlerweile ist die kurze Rochade für Schwarz doch ziemlich en Vogue. Doch in der Zugreihenfolge wie am Sonntag habe ich die kurze Rochade in dieser Stellung noch nicht gesehen. Ich glaube, dass Frederik wahrscheinlich gute Angriffschancen gehabt hatte, aber Alexander verteidigte sich sehr umsichtig und es kann so zu einem unklaren Turmendspiel. Das abschließende Remis durch Zugwiederholung war ebenso leistungs-wie stellungsgerecht. 5,5:2,5, wie gesagt eine wirklich reife Leistung.

Beim nächsten Mal kommt es im Heimkampf gegen Bad Segeberg zu einem Gastspiel der Karl May Festspiele. Das wird sicherlich sehr aufregend. Wie schrieb einst Wiglaf Droste: Ein Schuss ein Schrei - das war Karl May! Ein Schuss fünf Tote - das war Coyote! Coyote war besser hat aber keine Bücher geschrieben. Nun muss ich aber Schluss machen, um mich auf die Suche nach einem Indianerkostüm in meiner Größe zu machen. Das kann dauern.