Und da saßen wir wieder im Lager. Irgendwo zwischen Hoffnung und Kälte, zwischen Schachbrett und Schlafsack. Die Thermoskanne dampfte, draußen pfiff der Wind um die Planen unseres mentalen Basislagers, und drinnen stellte sich dieselbe Frage wie schon so oft: Wird es diesmal reichen? Wird der letzte Aufstieg gelingen oder bleibt Levi wieder in der berüchtigten Todeszone der Elo-Zahlen hängen?

Levi, 15 Jahre, hat den FM-Titel (Fidemeister) errungen. Zwei Buchstaben, die in der Schachwelt ein kleiner Meilenstein sind. Doch wie jeder Alpinist weiß, der Weg zum Gipfel ist nicht gepflastert mit Rosen, sondern mit verpatzten Chancen, flatternden Nerven und kalten Nächten im Niemandsland zwischen Talent und Triumph.

Mit fünf Jahren begann Levi, die schwarz-weißen Felder zu erklimmen. Andere Kinder entdeckten Pokémon, er entdeckte das Königsgambit. Und während sich Gleichaltrige auf Spielplätzen um Schaukeln stritten, fand Levi seinen Platz zwischen Läufern und Springern, immer das Ziel im Blick: höher, stärker, besser.

Die Reise verlief nie linear. Wie ein Bergsteiger, der immer wieder kurz vor dem Gipfel in sturmgepeitschten Lagern festhängt, musste auch Levi Rückschläge hinnehmen. Man sah es kommen. Die Form war da. Die Zahlen waren da. Aber dann, wie so oft, ein falscher Zug im entscheidenden Moment. Der Blick auf das Gipfelkreuz versperrt durch ein Schachbrett aus Unsicherheiten. Und wir, die „Sherpas“, Trainer, Eltern, Freunde, standen da, hielten still, hielten durch. Wir packten neu, trugen die Last, machten weiter.

Weggefährten kamen und gingen. Manche wurden auf halber Strecke vom Wetter des Lebens eingeholt, andere „en passant“, riefen fröhlich aus dem Hochlager 4: „Oben! Ich hab’s geschafft!“. Und Levi? Der blieb, zäh, fokussiert, mit dem festen Blick nach oben. Er lernte, wartete, verdaute. Eine Partie nach der anderen. Manchmal mit Euphorie. Manchmal mit Tränen.

Und dann kam die EM in Slowenien.

Partien, Gegner, potenzielle Matchbälle. Der erste Gegner. Stark. Sehr stark. Ein Sieg und der „2300er“ wäre wohl gefallen. Die Spannung? Greifbar. Das Ergebnis? Nun ja, wir sind leider nicht im Abendprogramm eines Privatsenders, bei dem der Film, der 3,5 Stunden zzgl. Überlänge andauert, im Märchen endet, nein. Also, wieder einmal, knapp daneben ist auch vorbei. „Heute nicht.“ Und wieder dieses Gefühl, die Lawine ist gerollt, das Fenster ist zu. Wieder runter. Zurück ins Camp. Wieder warten.

Aber diesmal kam der nächste Versuch schneller als gedacht und mit ihm, eine Chance. Eine Partie. Ein Matchball. Und diesmal, diesmal passte alles. 
Wir, die Sherpas an den Bildschirmen, hielten den Atem an, als unser alter Freund „Stock Fish“ die Stellung analysierte. Und dann kam sie, diese Nachricht. Keine fanfarengetragene Hymne, kein Siegestanz auf dem Gipfelgrat, sondern Tür auf und einfach, leise, fast beiläufig:

„Hab gewonnen.“

Ja, hast du. Du hast nicht nur gewonnen, du hast dich durchgebissen. Über zehn Jahre hinweg. Du hast Schach zur Leidenschaft gemacht. Und jetzt steht er da, der FM. Zwei Buchstaben.
Und wie antwortet Levi, als man ihm sagt, dass „FM Levi Malinowsky“ ziemlich schick aussieht?
„Ein GM sieht auch hübsch aus.“
Das ist keineswegs arrogant oder respektlos gemeint, das ist einfach Levi, von Herzen Levi. Er genießt kurz und denkt nach.

Wenn man da oben steht, auf diesem Gipfel, wird einem klar, allein kommt hier keiner rauf.

Zum Glück gibt sie, die „Sherpas“ dieses Aufstiegs, die, die selten im Rampenlicht stehen, aber ohne die gar nichts geht. Sie, die in eisiger Höhe den Weg gesichert haben, während Levi mit zitternder Hand nach dem nächsten Zug suchte. Die, die die Steigeisen in die Wand klopften, den Sicherungshaken setzten, die Stirnlampe hielten, als er selbst kein Licht mehr sah. Sie trugen ihn durch Niederlagen, analysierten verlorene Partien, sprachen Mut zu, wenn das Tal dunkler war als der Zenit hell. Sie backten Brötchen um 6 Uhr morgens vor dem Turnier, buchten Züge, die man wieder stornierte, hielten Stellungen aus, bei denen „Stock Fish“ das Wlan löschte.
Und deshalb: Danke an alle, die mitgetragen, mitgeplant, mitgelitten haben. Nehmt die Schachbrettblume, denn Edelweiss stehen unter Naturschutz :-)
Ihr seid keine Fußnote, ihr...

Bent, Maren, FCP, Sebastian, Mats, David, Thomas, Kenneth, FM Magnus, Emil, Julian, FM Jonah, GM Matthias, GM Sebastian, Maxi, Malte, FM Dirk, IM Michael, Thilo, Ede, FM Ullrich, TT, Christoph, IM Julijan, FM Joa, Tom-Linus, Nicole, Philipp, Vladi, IM Bernd, GM Gerald, IM Roman, IM Robert, WGM Tatjana, GM Niclas, GM Sergey, Heiko, Schach-AG der JMS, Schach-AG der MPS Kiel, MPS Kiel, Lübecker SV, SV Isental, Schachjugend SH, DSJ, DSB, Freunde, Familie, Klassenkameraden, Lehrende, Kirche und 24/7 Schwester & beste Freundin Celina sowie
CM Wolfgang Krüger, der Oberfels über Jahre in der Brandung und ein Anker, wenn der Rest ins Rutschen kam 

...ihr seid das Fundament unter den Füßen des FMs. Ihr wart die Seilschaft, das Kartenmaterial, das Funkgerät bei Nebel. Und irgendwo zwischen Schulterklopfen und Thermoskannenfüllen schnüren wir jetzt schon wieder die Stiefel. Seile prüfen. Karten zücken. 2400..., wir kommen... 

Yvonne Malinowsky

 

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