Am 10.August fand im Vereinsheim ein Training zum Thema "Turmendspiele mit einem Mehrbauern" statt und ein weiteres zum Thema "Stille Opfer" von Thomas Thannheiser. Nachfolgend der Inhalt des ersten Trainings in der gebotenen Kürze.
Einleitend zwei Stellungen mit den dazugehörigen Fragen.
Stellung 1: Weiß hat gerade 1.a6-a7 gespielt. War das ein guter Zug? Oder anders gefragt: Kann Weiß seinen Mehrbauern danach noch verwerten?
Stellung 2: Weiß zieht und gewinnt. Schwarz zieht und hält Remis. Welcher Zug muss dafür jeweils ausgeführt werden?
(Die Fragen werden am Ende des Beitrags beantwortet.)
Zunächst ging es im Training allerdings um die technischen Stellungen, in denen Weiß einen Turm und einen Bauern und Schwarz einen Turm hat. Den erfahrenen Spielern werden sofort die Stichworte "Philidor" und Lucena" einfallen, aber wir haben noch einige andere Themen behandelt.
Stellung 3: Diese Stellung mit dem g-Bauern ist remis, wenn Schwarz einfach mit dem Turm auf der achten Reihe verbleibt. Das funktioniert auch gegen den h-Bauern (und natürlich gespiegelt auf der anderen Brettseite gegen den a- und b-Bauern). Weiß kann Kh6 und g6 spielen und mit Tg7 Schach bieten, aber nach ...Kh8 Th7 Kg8 geht es nicht weiter, nach g7 Ta6 verliert Weiß sogar noch. Hier ein Link zum Ausprobieren: g-Bauer
Remis
Stellung 4: Gegen den f-Bauern oder den e-Bauern funktioniert diese passive Verteidigungsstrategie nicht. Weiß spielt Kg6, f6 und nach Tg7 Kh8 Th7 Kg8 gewinnt er mit f7 Kf8 Th8. (Gespiegelt gilt das auch für d- und c-Bauern.) Hier ein Link zum Ausprobieren: f-Bauer
Weiß am Zug gewinnt
Stellung 5: Schwarz am Zug hält Remis mit ...Ta6 und nach f6 spielt er dann ...Ta1 und der weiße König kann sich vor den Schachgeboten des schwarzen Turms nicht verstecken. Das ist die berühmte Philidor-Stellung, diese Verteidigungsmethode funktioniert gegen alle Bauern. Hier ein Link zum Ausprobieren (mit dem e-Bauern anstelle des f-Bauern): Philidor-Stellung
Schwarz am Zug hält Remis
Stellung 6: Wenn der weiße König das Umwandlungsfeld des Bauern erreichen kann und der schwarze König entlang einer Linie abgeschnitten ist, gewinnt Weiß mit dem sogenannten Brückenbau. In der abgebildeten Stellung spielt Weiß Te1-e4, danach kann sich der weiße König vor den Schachgeboten des schwarzen Turms verstecken, indem er Kf7-g6-f6-g5 und schließlich Tg4 spielt. Hier ein Link zum Ausprobieren: Lucena-Stellung
Weiß gewinnt
Stellung 7: Wenn Weiß über den e-Bauern verfügt, gibt es eine alternative Gewinnmethode: Weiß spielt Th1-h8-f8 und kann danach mit dem König im Zick-Zack bis zur Grundlinie wandern. Hier ein Link zum Ausprobieren: Lucena-Stellung 2
Weiß gewinnt
Stellung 8: Mit dem Randbauern funktionieren beide Gewinnmethoden nicht, weil die dafür notwendige i-Linie (bzw. j-Linie) fehlt. Die Faustregel lautet hier, dass der schwarze König vier Linien abgeschnitten sein muss, d.h. diese Stellung ist Remis. Weiß kann nur Fortschritte machen, indem er den Turm nach g8 manövriert (Ta1-a8-g8) und in der Zeit kommt der schwarze König nach f7, danach geht es nicht weiter. Hier ein Link zum Ausprobieren: Randbauer drei Linien
Remis
Stellung 9: Wenn der schwarze König vier Linien abgeschnitten ist, kommt der schwarze König nur bis e7 und der weiße König kann das Feld h8 verlassen. Die Gewinnführung ist allerdings alles andere als trivial und soll hier nicht wiedergegeben werden. Hier ein Link zum Ausprobieren: Randbauer vier Linien. (Wenn man den Analysemodus anschaltet, kann man sich die Gewinnführung von Stockfish zeigen lassen.)
Weiß gewinnt
Nach dieser theoretischen Einleitung ging es um das eigentliche Thema: Weiß hat einen a-Freibauern, der weiße Turm steht vor dem Bauern, der schwarze Turm dahinter.
Stellung 10: Hier die Modellstellung, in der Weiß nicht gewinnen kann. Solche Stellungen unterliegen folgenden Vorgaben: Der weiße Turm ist vollständig unbeweglich, sobald er zieht, geht der a-Bauer verloren. Der weiße König ist scheinbar auf der ersten Reihe abgeschnitten, kann sich aber in Wirklichkeit frei bewegen, weil der schwarze Turm wiederum hinter dem a-Bauern bleiben muss. Der weiße König kann bis b1 laufen, dann muss der schwarze Turm die zweite Reihe verlassen und der weiße König kann sich dem a-Bauern nähern. Sobald der weiße König auf b6 angekommen ist, gibt der schwarze Turm allerdings (beispielsweise von b1 aus) Schach und der weiße König kann sich vor der Schachgeboten nur verstecken, indem er sich auf den schwarzen Turm zubewegt. Wenn der weiße König beispielsweise auf b3 angekommen ist, spielt Schwarz wieder ...Ta6 und Weiß hat keinerlei Fortschritte erzielt. Hier ein Link zum Ausprobieren: Modellstellung
Remis
Stellung 11: Der schwarze König hat in unserer Modellstellung nur zwei sichere Felder zur Auswahl: g7 und h7. Wenn der König auf die sechste Reihe zieht, gibt der weiße Turm Schach und wenn der König auf f7 steht, gewinnt Weiß mit der bekannten Umgehung Th8. Hier ein Link zum Ausprobieren: Umgehung
Weiß am Zug gewinnt
Stellung 12: Wenn Weiß noch über einen zweiten Bauern verfügt, gewinnt er, wenn es sich nicht um einen g- oder h-Bauern handelt. Weiß zieht den zweiten Bauern einfach nach vorne und zwingt dadurch den König, die beiden sicheren Felder g7 und h7 zu verlassen. Sobald der Bauer auf f6 auftaucht, muss Schwarz diesen entweder mit Kxf6 schlagen (dann kommt Tf8) oder mit Kf7 blockieren (dann kommt Th8). Wenn der schwarze Turm den Bauern auf dem Weg nach f6 vorher schlägt, zieht Weiß seinen Turm nach b8 und wandelt den a-Bauern um. Hier ein Link zum Ausprobieren: f-Bauer
Weiß gewinnt
Stellung 13: Mit dem g-Bauern (oder h-Bauern) funktioniert dieser Gewinnplan nicht, Schwarz ignoriert den Bauern einfach, wenn er auf g6 angekommen ist. Der weiße König kann den Bauern unterstützen (beispielsweise von h5 aus), aber auch das führt nicht zum Gewinn. Hier ein Link zum Ausprobieren: g-Bauer
Remis
Stellung 14: Weiß braucht also unbedingt einen f-Bauern, um solche Stellungen zu gewinnen. Die folgende Stellung ist deshalb Remis. Selbst wenn Weiß den g-Bauern gewinnen könnte (was er nicht kann), wäre die Stellung immer noch Remis. Hier ein Link zum Ausprobieren: g-Bauern
Remis
Stellung 15: Wenn beide Seiten noch einen f-Bauern haben, ist die Frage, ob Weiß den schwarzen f-Bauern gewinnen kann. Gelingt ihm das, gewinnt er auch die Partie. Gelingt ihm das nicht, ist die Partie Remis. Wenn die beiden f-Bauern auf f4 und f5 stehen, kann der weiße König den schwarzen Bauern gewinnen, indem er nach e5 läuft, dann muss Schwarz auf a5 Schach geben. Nach Ke6 kann Schwarz nur noch ...Kh7 spielen und nach der Antwort Kf6 muss er dann den Turm ziehen und den f-Bauern aufgeben. (Der weiße König auf f6 greift sowohl das Feld g7 als auch den Bauern f5 an.) Hier ein Link zum Ausprobieren: f-Bauern auf f4 und f5. (Analyse-Modus einschalten, falls die textuelle Erklärung nicht reicht.)
Weiß gewinnt
Stellung 16: Wenn die f-Bauern auf f3 und f4 stehen, funktioniert das eben beschriebene Gewinn-Manöver nicht, weil Schwarz nie in Zugzwang gerät. (Der weiße König kann nicht gleichzeitig das Feld g7 und den schwarzen Bauern auf f4 angreifen.) Hier ein Link zum Ausprobieren: f-Bauern auf f3 und f4
Remis
Mit diesem Wissen kann man Stellung 2 jetzt lösen:
Weiß am Zug gewinnt mit f4, Schwarz am Zug hält Remis mit ...f4. Alle anderen Züge gewinnen nicht bzw. verlieren.
Stellung 17: Von praktischer Bedeutung sind die Stellungen, in denen am Königsflügel mehrere Bauern stehen. Weiß kann dann nur gewinnen, wenn er es schafft, sich einen f-Freibauern zu verschaffen. In dieser Stellung hier ist das nicht möglich. Hier ein Link zum Ausprobieren: Drei gegen drei Bauern am Königsflügel
Remis
Stellung 18: Witzigerweise ist die Stellung auch dann Remis, wenn der schwarze f-Bauern fehlt. Hier ein Link zum Ausprobieren: Drei gegen zwei Bauern am Königsflügel
Remis
Stellung 19: Weiß kann versuchen, nach f4 mit dem doppelten Bauernopfer g4 hxg4 h5 gxh5 f5 einen f-Freibauern zu erlangen, aber der Schuss geht nach hinten los: Weiß verliert dann sogar noch. Hier eine beispielhafte Zugfolge:
Jetzt können wir auch die Stellung 1 auflösen:
Weiß gewinnt mit dem kleinen Bauernzug f3-f4. Wenn Schwarz auf f4 nimmt, kann Weiß mit gxf4 und dann e5 einen e-Freibauern bilden, der entweder den schwarzen Turm oder den schwarzen König ablenkt. Wenn Schwarz nicht auf f4 nimmt, nimmt Weiß auf e5 und läuft dann mit dem König bis nach e6. Schwarz muss dann ...Kh7 spielen, dann kommt Kf5 und nach ...g6 Kf6 entsteht die bekannte Zugzwangstellung. Hier ein Link zum Ausprobieren: Vier gegen vier Bauern am Königsflügel
Fazit: Weiß sollte in solchen Stellungen mit einem entfernten Freibauern und dem Turm vor dem Bauern den Freibauern nur dann auf die siebte Reihe ziehen, wenn er danach einen Freibauern auf der f- oder e-Linie bilden kann oder wenn er Schwarz eine Bauernschwäche auf e5 oder f5 zufügen kann, die er dann mit dem König angreifen und aufgrund von Zugzwang gewinnen kann. Kurz gesagt; Weiß sollte den Freibauern nur dann auf die siebte Reihe ziehen, wenn er genau weiß, warum er das tut :-)
Beim nächsten Training am 22.November geht es um Stellungen, in denen der Freibauer noch auf der sechsten Reihe steht, und um Turmendspiele mit einem Mehrbauern, bei denen sich alle Bauern auf einem Flügel befinden.
Nachtrag: Einige Tage nach diesem Training hatte ich beim Online-Blitz folgende Stellung erreicht.
Schwarz hat fünf Felder für seinen König zur Auswahl. Ein Zug verliert, die anderen vier halten Remis. Die Lösung gibt es am 22.November :-)