An diesem Wochenende begann die Saison für die überregionalen Ligen und das bedeutete für unsere erste Mannschaft, dass wir nach Berlin fahren durften, um dort gegen die zwei Aufstiegsfavoriten Schachfreunde Berlin und Rüdersdorf zu spielen. Mein Tipp war, dass wir froh sein können, wenn wir mit zwei oder drei Brettpunkten wieder nach Hause fahren. Aber erstens kommt es anders und zweitens, als man denkt...
Ich kann mich gut daran erinnern, dass wir früher bei unseren Auftritten in der zweiten Bundesliga als "sehr junge Mannschaft" bezeichnet wurden. Das ist allerdings mindestens 30 Jahre her, als lauter talentierte Lübecker Nachwuchsspieler am Brett saßen, die alle Anfang / Mitte 20 waren. Die Mannschaft, mit der wir in dieser Saison das Abenteuer zweite Bundesliga in Angriff nehmen, ist im Durchschnitt sogar älter, aber das liegt im Wesentlichen daran, dass von den Nachwuchsspielern aus den 90er Jahren einige immer noch bzw. wieder in der ersten Mannschaft spielen. An diesem Wochenende waren das Dirk Lampe, Michael Ehrke und ich, dazu kommt der Senior unserer Mannschaft, unser Großmeister Sergey Kalinitschew. Die Nachwuchsspieler sind die Lübecker Eigengewächse Joa Bornholdt und Tom Bosselmann, unser Neuzugang Levi Malinowsky aus Kiel und Frederick Waldhausen Gordon aus Schottland, alle vier sind deutlich jünger, als wir das damals waren. Insgesamt also eine bunte Mischung, die insbesondere aufgrund der Aufstellung mit Joa und Frederick an den vorderen und Tom und Levi an den hinteren Brettern für unsere Gegner schwer auszurechnen ist.
Am Samstag ging es gegen Rüdersdorf, die im vergangenen Jahr eigentlich in die Bundesliga aufgestiegen waren, aber aus formalen Gründen doch in der zweiten Liga verblieben sind. (Zu den Hintergründen kann ich mich nicht belastbar äußern, weil ich nicht alle Details kenne.) Erstaunlicherweise fehlten einige ihrer Spitzenbretter, aber auch die acht Spieler, die uns gegenüber saßen, waren mit einem ELO-Durchschnitt von 2363 auf dem Papier eigentlich immer noch viel zu stark für uns. Tatsächlich ergab sich aber ein zähes Ringen mit Chancen für beide Seiten.
Levi gewann in weniger als 20 Zügen, was dem Rest der Mannschaft natürlich Auftrieb gab - ein toller Einstand für ihn in seiner ersten Ligapartie für Lübeck!
Ich durfte vom Nebenbrett aus live mitansehen, wie Frederick in einem an sich ruhigen Italiener seinen Gegner scharf attackierte. Der IM konnte sich mit knapper Not in ein remisiges Endspiel retten - das erste Vorteilsremis für uns. Sergey an 1 und Michael an 8 standen auch beide besser, konnten den Vorteil aber leider nicht verwerten. Joa rutschte in eine Karlsbader Struktur, in der Weiß seinen Minoritätsangriff hatte und Schwarz kein Gegenspiel, was den Ausgleich für Rüdersdorf bedeutete. Tom stand unter Druck, erzielte aber ein Nachteilsremis. Am Ende spielten noch die beiden Nachwuchsspieler von damals: Dirk hatte eigentlich Vorteil (glaube ich), konnte am Ende aber froh sein über den halben Punkt. Meine Partie war dadurch gekennzeichnet, dass mein Gegner mit Weiß auf dreieinhalb Reihen operierte, aber trotzdem latent Druck entwickelte - in gewisser Weise der Gegenentwurf zu der Partie am Brett neben uns. Als Entschuldigung können mein Gegner und ich allerdings ins Feld führen, dass Karpow Weltmeister war, als wir Schach gelernt haben.
Alles in allem also ein 4-4 mit Vorteilen auf unserer Seite und damit ein vielversprechender Start in die Saison.
Am Sonntag saßen uns im Schnitt 2493 ELO-Punkte gegenüber und am Ende war das Ergebnis mit 2-6 auch eindeutig. Aber der Weg dahin war es meines Erachtens nicht. Levi einigte sich mit seinem um 300 Punkte stärkeren Gegner schnell auf Remis - wahrscheinlich hatte der Levis Partie vom Vortag gesehen. Frederick nahm einen aus meiner (Karpow-getrübten) Sicht vergifteten Bauern, auch sein großmeisterlicher Gegner schaute in dem Moment etwas ungläubig.
Es folgte ...Dxe3.
Aber der Verlauf der Partie gab ihm Recht, und am Ende verbuchte er die zweite Lübecker Gewinnpartie an diesem Wochenende - ein sehr erfolgreiches Wochenende auch für ihn! Sergey spielte Philidor mit exd4 und konterte den weißen Aufmarsch im Zentrum und am Königsflügel (e4-f4-g4) mit g7-g5, wonach die Stellung sehr unklar war, am Ende musste er sich seinem 2600er Gegner dann doch geschlagen geben. Joa hatte wieder etwas Pech mit der Eröffnung (1.Sf3 d5 2.c4 d4 3.b4 g5) und stand schnell unter Druck, dem er nicht standhalten konnte. Das Gleiche galt für Tom, der seinen Läufer auf c1 nicht entwickeln konnte, weil ein Springer auf d3 den Bauern auf d2 blockierte. Michael hatte den schwächsten Berliner (ELO 2379) als Gegner und verbuchte wiederum ein Vorteilsremis. Dirk spielte mit Schwarz einen Königsinder, in dem Weiß Raumvorteil und Angriffschancen am Königsflügel hatte, die am Ende den Ausschlag gaben. Mein Gegner spielte mit Schwarz im Katalanen sehr früh a5-a4, laut Stockfish war die Stellung 1,2 Bauern besser für Weiß, aber am Ende hatte ich dann schwache Bauern auf b2 und d4 und ein verlorenes Damenendspiel.
Die Spielbedingungen waren gut und die Gastfreundschaft der Schachfreunde Berlin (Kaffee, Brötchen etc. waren umsonst) sollten wir Anfang Dezember übernehmen, wenn wir mit Zehlendorf und Pankow zwei Berliner Mannschaften zu Gast haben. Ob wir auch in den verbleibenden sieben Runden in der Lage sein werden, über unsere Verhältnisse zu spielen, wird man sehen, aber diese Mischung aus sehr jungen und sehr erfahrenen Spielern, die alle talentiert sind (oder es mal waren), ist genau der richtige Ansatz, um auch in 30 Jahren erfolgreich zu sein.
Alles in allem hat es wirklich Spaß gemacht, in dieser Mannschaft zu spielen. Aufgrund der Reform der zweiten Bundesliga (2x12 Mannschaften in der kommenden Saison statt wie bisher 4x10) steigen die letzten vier Mannschaften aus unserer Staffel ab, und ein Blick auf die Tabelle bzw. die Aufstellungen zeigt, wie schwer es für uns wird, die Klasse zu halten: https://ergebnisdienst.schachbund.de/bedh.php?liga=2bln Aber insbesondere die Auftritte unserer Youngsters geben Anlass zu der (zugegebenermaßen geringen) Hoffnung, dass wir die Klasse eventuell doch halten.