Traditionell findet in der Woche über den 1. November (Allerheiligen) die Offene Internationale Bayerische Meisterschaft, kurz OIBM, statt. Mit rund 500 Teilnehmern, davon über 20 Großmeister, seit Jahren eines der stärksten Open in Deutschland. Die diesjährige 21. OIBM war jedoch so etwas wie ein Neuanfang. Neuer Spielort, neue Turnierorganisation, neuer Spielmodus. Vier LSVer, Michael Ehrke, Dirk Lampe, Samuel Oltzen und der Berichterstatter Bernhard Weber, haben sich das angesehen und mitgespielt.
Das Turnier wurde bisher in Schachkreisen auch gerne nach seinem bisherigen Spielort "Bad Wiessee" benannt. Die Wandelhalle des Jodbades diente dort zwei Jahrzehnte als Spielstätte. Diese steht nun nicht mehr zur Verfügung. Neuer Spielort ist Gut Kaltenbrunn, mit Blick auf den Tegernsee gelegen, aber 4 Kilometer außerhalb von Bad Wiessee gelegen. Kaltenbrunn gehört zur Nachbargemeinde Gmund, Bad Wiessee bietet aber weit mehr Unterkunftsmöglichkeiten und viele Stamm-Teilnehmer wollten auch ihrem lieb gewonnenen Hotel die Treue halten. Von Bad Wiessee wurde daher ein kostenfreier Shuttlebus zum Rundenbeginn nach Kaltenbrunn angeboten. Zurück ging es mit dem stündlich fahrenden Linienbus, für Teilnehmer ebenfalls kostenlos. Die begrenzten Parkmöglichkeiten wurden im Laufe der Woche auch noch ergänzt durch einen weiteren kostenfreien Parkplatz in Gmund.
Nach zwei Jahrzehnten hat der Turniergründer und Schachmäzen Horst Leckner den Staffelstab weitergegeben. Neuer Turnierorganisator ist GM Sebastian Siebrecht. Das Schiedsrichter-Team wurde angeführt vom Bundesturnierdirektor Ralph Alt. Spielstätte ist nun der ehemalige Rinderstall des Gutes, vom derzeitigen Pächter "Feinkost Käfer" zu einem Veranstaltungsort umgebaut. Im Erdgeschoß befand sich der Analysebereich und die Bewirtschaftung, die auch zu zivilen Preisen Speis und Trank anboten. Im vorderen Bereich, mit Blick auf den Tegernsee befanden sich dann auch die ersten 44 Bretter, die live über Chess24 übertragen wurden. Die gut 200 weiteren Bretter befanden sich im ersten Stock, der reichlich Platz bot, so dass auch an den letzten Brettern keine Enge herrschte.
Traditionell spielen alle Teilnehmer in einer Gruppe, es gibt keine A, B, C-Unterteilung. Allerdings wurde erstmals ein "beschleunigtes Schweizer System" für die Auslosung angewandt. Die ersten beiden Runden spielten zunächst die obere und untere Hälfte des Teilnehmerfeldes untereinander nach Schweizer System ehe dann zur dritten Runde zusammengeführt wurde. Das hat aus meiner Sicht dem Turnier gut getan, da schon von Beginn an auch der ein oder andere Titelträger halbe oder gar ganze Punkt liegen liess und dann zur Aufholjagd ansetzen musste. Als Zweitwertung wurde jetzt der ELO-Durchschnitt der Gegner eingeführt.
Traditionell bin ich im zweiten Viertel des Teilnehmerfeldes und das führte in der ersten Runde gleich zu einer Partie an einem Live-Brett gegen IM Alexander Seyb (ELO 2403). Ich spielte eine seltene Caro Kann-Variante mit Schwarz und bekam von dem IM gezeigt, dass ich sie nicht nur selten sondern besser gar nicht spielen sollte. In Runde 2 gegen Reinhold Pohle (ELO 2009) opferte ich mutig im 8. Zug einen Springer auf f7. Der Angriff kam nicht durch, ich bekam aber einige Bauern für die Figur. Am Ende dann ein Remis im Endspiel, da der schwarze Mehrläufer für den verbliebenen Randbauern von Schwarz die falsche Felderfarbe hatte.
0,5 aus 2 war jetzt noch nicht so berauschend. In Runde 3 wurde das Feld ja zusammengeführt und ich bekam einen Gegner mit ELO 1500, der früh zwei Figuren einstellte und dann aufgab. In Runde 4 war Christoph Fieberg, Vater des Kaderspielers Samuel Fieberg, mit ELO 1840 dann ein härterer Gegner. Nach misslungener spontaner Eröffnungsidee musste ich zunächst verteidigen, konnte später die Initative übernehmen, in ein vorteilhaftes Turmendspiel gehen und dieses schließlich auch gewinnen.
In Runde 5 dann mein "Highlight" des Turniers - mit Schwarz gegen IM Roven Vogel (ELO 2493). Für den U16-Weltmeister von 2015 lief das Turnier von Beginn an nicht so gut und auch ich konnte mir ein Remis erarbeiten und habe dabei noch eine Gewinnmöglichkeit ausgelassen:
In Runde 6 ein Jugendlicher (ELO 1900). Ich ließ es ruhig angehen, holte mir im Mittelspiel einen Bauern und verwertete das im Endspiel zum vollen Punkt. Mit 4 aus 6 ging es jetzt in Runde 7 wieder nach unten an die Live-Bretter. Benjamin Rücker (ELO 2261) war mein Gegner. Ich hatte Schwarz und ausgangs der Eröffnung wieder eine "kreative Idee". Das erzeugte Chaos nutzte aber nur meinem Gegner und ich landete in folgender Verluststellung:
Weiß am Zug ist klar in Vorteil, für unsere jugendlichen Leser: "Die Engine sagt +4". Ich erwartete Tb7 oder Ta7, die Engine schlägt sogar das Qualitätsopfer Txd5 vor. Es kam aber Tc4?? - die Engine stürzt auf +0,3 ab. Vermutlich wollte mein Gegner Sb4 aus der Stellung nehmen. Seine Siegträume zerplatzten jedoch wie Seifenblasen nach meiner Erwiderung Txc6! Wenig später einigten wir uns auf Remis.
Ein schnelles Remis holte ich dann mit Weiß in Runde 8 gegen Hans Jörg Cordes (ELO 2222). Zur Schlussrunde durfte ich dann wieder an ein Live-Brett und die Familie Fieberg wurde komplettiert. Ich spielte gegen den U16-Kaderspieler Samuel Fieberg. Es wurde eine sehr muntere Partie in der mein junger Gegner aber besser den Überblick behielt und so letztlich auch verdient gewann.
Ich war ohne Vorbereitung in dieses Turnier gegangen. Meine Zielsetzung war nur etwas risikofreudiger zu spielen und dann mal zu sehen, was dabei herauskommt. Nun das Endergebnis ist überraschend erfreulich. 5 aus 9 bei einem ELO-Schnitt von 2170 bringt mir Platz 131 (Setzliste Platz 155) und noch ein zweistelliges ELO/DWZ-Plus.
Bester Lübecker wurde Michael Ehrke mit 6 aus 9. Dirk Lampe kam wie ich auf 5 aus 9, Samuel Oltzen erzielte 4 aus 9. Sieger wurde der ägytische GM Ahmed Adly mit 7,5 aus 9 und der besten Zweitwertung vor drei weiteren Punktgleichen. Er führte mit 6 aus 6 nach zwei Drittel des Turnieres bereits mit einem halben Punkt Vorsprung. In Runde 7 unterlag er dann in einer scharf geführten Partie dem estnischen GM Kaido Kulaots, der damit selbst mit einem halben Punkt Vorsprung in die letzten beiden Runden ging. Diese spielte er jeweils Remis. GM Adly konnte nach einem Remis in Runde 8 in der Schlussrunde nochmals gewinnen, schloß damit auf und hatte schließlich aufgrund des höchsten ELO-Schnitts der Gegner die Nase vorn.
Zum Schluß noch eine Anekdote:
Ein 12-jähriger Junge spielt groß auf. In der 8. Runde überspielt er seinen erfahrenen Gegner ebenfalls, hat zwei Mehrbauern im Endspiel. Dann verliert er den Faden. Ein gegnerischer Springer dringt in seine Stellung ein und sammelt dort drei Bauern ein. Es geht ins Bauernendspiel und schließlich sieht sich unser jungen Held einem gegnerischen Freibauern gegenüber, der eigene König weit vom Quadrat des Bauern entfernt. Die Lage ist aussichtslos, aber der 12-Jährige hat noch eine Idee. Er spricht seinen Gegner an: "Die Stellung ist jetzt verloren, aber vorher habe ich doch auf Gewinn gestanden." Sein Gegner antwortet höflich: "Ja, vorher hast du auf Gewinn gestanden." Der Junge: "Können wir dann nicht sagen, es ist Remis?"