Saisonvorbereitung in der Blütenstadt.

Da ich traditionell den Saisonstart der Bezirksliga verpasse, hatte ich auch in diesem Jahr wieder ein kleines Turnier in den Urlaub integriert. Die Wahl fiel auf das Jubiläumsturnier in Werder (Havel). Das kleine Inselstädtchen unweit von Potsdam feiert in diesem Jahr seinen 700. „Geburtstag“, der ansässige Schachverein wurde 20 – da passte es gut, das ich unmittelbar vor dem Turnier so alt wurde, wie das Turnier Teilnehmer hatte. Etwas ungewöhnlich für ein Wochenend-Open, es wurden 6 Runden gespielt, so dass es in den Gemäuern der Wachtelburg bereits am freitagsmorgens losging.

 

Nach 8-tägiger Anreise mit dem Rad (ich hatte eine Abkürzung über Dresden gefunden) starte ich gut erholt gegen einen älteren Herrn ohne Turniererfahrung, der meine Angriffswellen jedoch souverän abwehrt und zwischenzeitlich gar selbst die Oberhand gewinnt. Nach 4,5 Stunden überlasse ich es ihm, den letzten Fehler der Partie zu machen, wodurch es zu einem leistungsgerechten Remis kommt. In Runde 2 sitzt mir erneut ein Senior gegenüber, diesmal einer mit FM-Titel. Er will französisch verteidigen, ich spiele einfach wie immer. Mein anfänglicher Optimismus trübt sich, als ich sehe, dass er vermutlich bald meinen Damenflügel überrollen oder einfach sein Läuferpaar auf meinen luftig stehenden König ansetzen wird – oder beides. Weil ich das nicht untätig abwarten will, tue ich einfach mal so, als würde ich auf f7 angreifen. Er ignoriert das höflich. Als wir beide merken, dass mein Angriff echt ist, ist es für ihn auch schon zu spät.

Der Sonnabend bringt nach dem unverhofften Punkt erneut Gegner, die in der Setzliste weit vor mir stehen. Ich bekomme zwischenzeitlich recht ansehnliche Stellungen aufs Brett, aber der Ertrag bleibt bei genau 0 Punkten. Da es keine Sonderwertung „Chancentod“ gibt und in der Frauenwertung inzwischen eine Spielerin aus NRW an mir vorbeigezogen ist, setze ich mir das Ziel „DWZ wieder über 1600 heben“. Am Morgen komme ich mit Schwarz erstaunlich gut aus der Eröffnung, mein Gegner fängt sich aber schnell wieder. Als sich bei mir gerade der Eindruck verfestigt, dass er nun doch langsam besser steht, bietet er Remis. Ich nehme an, mache einen kleinen Spaziergang über die herrliche Altstadtinsel und lege mich dann nochmal ins Bett. Bevor ich erneut den Berg erklimme, auf dem die Wachtelburg im Nieselregen eine gespenstische Kulisse abgibt, versuche ich mich an einer Planung für den weiteren Tagesverlauf: Start der letzten Runde 15:00, Prognose zur Bundestagswahl 18:00, Siegerehrung 20:00. Fußweg zwischen Spiellokal und Quartier 20 Minuten. Ich entscheide mich dafür, ausnahmsweise das Handy mitzunehmen und verstaue es ausgeschaltet im Rucksack. Mein Gegner bietet mir Caro-Kann an. Nach wenigen Zügen stelle ich fest, dass ich keine Lust mehr habe, dass ein weiteres Blitz-Remis aber nicht schicklich wäre und dass ich bei einem vollen Punkt noch mit 50 Prozent aus dem Turnier käme, was sich bei meinem Gegnerschnitt sicherlich günstig auf die DWZ auswirken würde. Ferner stelle ich fest, dass ich bereits rochiert habe, während der Königsflügel mir gegenüber noch gänzlich unberührt ist. Ich spiele f5. Mein Gegner ignoriert das, wenig später hat er ganz schlimm f7. Immerhin, sein König schafft es noch bis a6. Meine Dame bleibt ihm auf den Fersen, ein Gaul springt ihr bei. Jetzt hat mein Gegner keine Lust mehr – und ich habe also 50 Prozent und noch knapp 2 Stunden bis zur Veröffentlichung der Wahlprognose. Als ich im Nebenraum meine Handy einschalte, merke ich, was ich nicht habe: die PIN für die SIM-Karte meines Telefons. Sie liegt in Lübeck. Von Lübeck trennen mich laut Urlaubsplanung noch 4 x ca. 100km. Aber irgendwas ist ja immer…

Alle Zahlenspiele zum Turnier gibt es hier

Zusammenfassend: Ein angenehmes kleines Turnierchen in einer spannenden Location (die üblicherweise genutzten Räumlichkeiten wurden wohl als Wahllokale benötigt) über den Dächern einer Stadt, die auch ohne Schach ein empfehlenswertes Ausflugsziel ist!