5:3 - das Abstiegsgespenst sollte gebannt sein. Bevor ich aber auf unseren Kampf näher eingehe, möchte ich mich einer bemerkenswerten Sache , die sich im Nebenraum zugetragen hat, widmen.

Bei dem Kampf LSV VII- Geesthacht stand Joachim Rieckhoff komplett auf Verlust. Er hatte zwar einen – allerdings noch weit hinten stehenden- Freibauern, aber ansonsten im Endspiel einfach eine Figur weniger. Auf einmal gab sein Gegner auf und verließ den Saal. Joachim demonstrierte Ede seine “Gewinnstellung“. Um eine solche musste es sich ja handeln. Warum sonst sollte sein Gegner denn aufgegeben haben. Aber sosehr man in der Analyse auch versuchte Joachims Freibauern Siebenmeilenstiefel anzuziehen, um diesen siegbringend in eine Dame umzuwandeln, es wöllte einfach nicht gelingen. Dann folgte des Rätsels Lösung. Joachims Gegner wurde von einem Mannschaftskameraden gefragt, warum er denn aufgegeben hätte und gab zur Antwort:“ Na, ich hatte einfach keine Lust mehr.“ Dreißig Jahre habe ich nun Schachspielen müssen, um dann die mit Abstand überzeugendste Erklärung für den Verlust einer Partie zu erhalten. Der freie Wille allein entscheidet über Sieg oder Niederlage. Determinismus ade! Wäre doch schön, wenn man dies auch für die anderen Bereiche des menschlichen Lebens sagen könnte. 

Doch nun zu unserem Kampf gegen Schwarzenbek, der ein Auswärtsspiel im LSV war. Im Spiellokal der Schwarzenbeker- einem Seniorenheim- war ein Virus ausgebrochen, und so fand der Kampf bei uns statt. Schon nach kurzer Zeit einigten sich Wolf Reimer und Jörg Zeller am Spitzenbrett auf ein Großmeisterremis. Das ist ein Begriff der in den 70er Jahren im Schach recht gängig war. Damals waren viele Großmeister recht friedlich gestimmt. Sie sackten bei geschlossenen Turnieren ihr Antrittsgeld ein, spielten ihre Eröffnungen und wenn der Gegner hier keinen kompletten Unsinn veranstaltete einigte man sich auf Remis. Der italienische Großmeister Parma war für dieses Vorgehen geradezu berüchtigt. Es konnte sein, dass er ein Turnier mit neun Remisen beendete, wovon keines den 20sten Zug erlebte. So gesehen kann man die Partie zwischen Wolf und Jörg als eine Art Reminiszenz an Großmeister Parma verstehen. Vielleicht hatten sie aber auch einfach keine Lust mehr. Das nächste Remis steuerte Frederik bei. Er hatte als Schwarzer schnell Ausgleich erzielt. Daraufhin verschwand recht zügig diverse Material vom Brett, so dass die Punkteteilung die logische Konsequenz war. Daraufhin ging Schwarzenbek in Führung. Berdi hatte früh einen Einschlag übersehen, der ihn den wichtigsten Bauer in seiner Stellung gekostet hatte. Der Rest der Partie war der Beweis dafür, dass bisweilen die Grenzen zwischen Heldenmut und Agonie verschwimmen können.

Für den Ausgleich sorgte Thomas, der im Drachen eine Nebenvariante spielte, die seinen Gegner komplett überforderte. In Führung brachte uns dann Bernhard, der als Weißer gegen eine seiner schwarzen Leib- und Magenvarianten spielte. So wusste er natürlich genau, was sein Gegner für strategische Fehler begangen hatte und wie diese zu bestrafen waren. Fin hatte nach einer theoretisch bekannten Ungenauigkeit seines Gegners einen gefährlichen Angriff erhalten. Entgegen seines Naturells tauschte er dann aber die Damen, um ein besseres Endspiel mit gutem Springer gegen schlechten Läufer zu spielen. Ich hätte an Fins Stelle wahrscheinlich die gleiche Entscheidung getroffen. Ich bin aber auch dreißig Jahre älter und sechzig Kilo schwerer. Der Schwarzenbeker Bollow verteidigte sein gedrücktes Endspiel zäh und konnte die Partie in´s Remis retten. Für den Siegpunkt sorgte dann der Kapitän. Ich hatte als Schwarzer aufgrund des unambitionierten Aufbaus meines Gegners die Initiative ergriffen und war auch materiell in Vorteil gekommen. Zudem hatte mein Gegner nur noch Sekunden auf der Uhr. Da machte ich einen Zug, der so fürchterlich war, dass er zweierlei zur Folge hatte. Zum einen ruinierte ich meine Stellung sofort unwiderruflich und zum anderen entsetzte sich mein Kontrahent sosehr ob meines grausamen Spiels, dass er glatt die Zeit überschritt. Dreckig ist hier wohl das Wort der Wahl.

In der letzten Partie einigten sich dann Tigran und Heiko Kitschke auf Remis. Tigran hatte die ganze Partie über deutlichen Vorteil gehabt, dann aber irgendwie den Faden verloren. Am Ende hätte der Schwarzenbeker vielleicht sogar noch Gewinnversuche machen könne. Aufgrund des Spielverlaufs war Heiko mit dem Unentschieden aber sehr zufrieden. Zumal Tigran nach der Partie demonstrierte, dass er auf seinen Gegner top vorbereitet war. Die Schachjugend von heute bereitet sich ja nicht einfach mit Varianten vor, sondern versucht den potentiellen Gegner in seiner ganzen schachlichen Persönlichkeit zu analysieren. Und so sagte Tigran dann nach der Partie zu Heiko denn auch: „ Wissen sie, beim Durchspielen ihrer Partien habe ich nicht verstanden, was eigentlich ihre Pläne beim Schach sind.“ Zurück bleiben ein planloser Schachspieler und ein fassungsloser Berichterstatter.