Jetzt spricht der Meister!

Es ist vollbracht! Die zweite Mannschaft des Lübecker Schachvereins hat die Landesliga gewonnen.

Sicherlich, wir gehörten im Vorwege zum engeren Favoritenkreis,aber diese Souveränität, diese Dominanz das war dann doch schon etwas überraschend. Wie konnte es dazu kommen? Die Antwort ist verblüffend einfach. Der Schlüssel des Erfolgs lag in der strikten Einhaltung der Regeln der neuen (schachlichen) Leitkultur. Somit ist dieses Saisonresümee auch eine kurze Rückmeldung an den Bundesinnenminister.

Zuerst einmal dies: vor jeder der 71 gespielten Partien,eine Begegnung wurde kampflos entschieden,gaben sich die jeweiligen Kontrahenten, auch die mit Migrationshintergrund, vorschriftsmäßig unverschleiert zur Begrüßung die Hand. Danach entspann sich ein zumeist zähes aber stets faires Ringen. Deutsch war hierbei eher selten anzutreffen. Es ging dann doch viel mehr sizilianisch, spanisch oder indisch zur Sache.

Dem von dem Minister postulierten Leistungsprinzip hat sich die gesamte Mannschaft während der ganzen Saison bedingungslos unterworfen. Es stellte sich im Nachhinein als richtig heraus, dass der Vorsitzende sich vehement für die Aushandlung stark leistungsbezogener Spielerverträge ausgesprochen hatte. Und so kam es denn auch zu entsprechend starken Leistungen. Von Frederik Svane, dem amtierenden und mit Abstand jüngsten Landesmeister aller Zeiten, bis hin zu Michael Ehrke unserem Veteranen am Spitzenbrett. Aber auch Spieler wie Wolf Reimer, Tigran Poghosyan und Stephan Schiebuhr können sich ihrer Lobhudelei sicher sein. Manch einem unser Gegner mag da der Begriff vom Streber in den Sinn gekommen sein, aber das ist natürlich nur der Neid der Punktlosen. Zumal wir bei allem Ehrgeiz und aller Konkurrenz uns unserer Verantwortung bezüglich der in diesen schachlichen Breitengraden geltenden Sozialkultur immer bewusst gewesen waren. Auch, oder sollte man vielleicht besser sagen gerade, am Schachbrett müssen Konflikte gewaltfrei beigelegt werden.

Ein leuchtendes Vorbild ist hierbei Jan-Henrik Plackmeyer. Gleich mehrfach hatte er sich erfolgsversprechende Angriffsstellungen aufgebaut. Alles war für den entscheidenden Schlag vorbereitet. Somit schien ein blutiges Gemetzel unvermeidlich zu sein und seinen Gegnern drohte ein gar grausiges Schicksal.Aber dann… „Remis ist ein schönes Ergebnis.“, sagte Placki. „Beide Seiten haben gut davon und keiner muss leiden.“ Weise Worte eines weisen Mannes! Vielleicht sollte es Franz Alt,bei seinem nächsten wohl kaum zu verhindernden Interviewband, mal mit Placki statt des ewigen Dalai Lamas versuchen. Ein großes Risiko ginge er hierbei ja nicht, denn neben der spirituellen gibt es ja auch eine gewisse optische Übereinstimmung.

Neben den Umgangsformen, dem Leistungsprinzip und der Sozialkultur war der ministeriale Bildungsbegriff eine doch härtere Nuss, die es zu knacken galt. Bildung soll kein Selbstzweck sein. Aus Bildung soll Allgemeinbildung werden. Nicht konkret dem schnöden Punkt hinterher hecheln. Es geht vielmehr um das allgemeine Spielverständnis, um das große Ganze. Aber wann wird aus Bildung Allgemeinbildung? Und wann mutiert Bildung zu Einbildung? Gerade Letzteres habe ich mich des öfteren selber gefragt. Manchmal fühle ich mich wie der Hirsch von dem ich unlängst aus der Presse erfahren habe. Dieser, obwohl vollständig ausgewachsen, hatte sich unerklärlicherweise einer Rinderherde angeschlossen. Ein Tierforscher nach dem Grund für dieses seltsame Gebaren gefragt gab lakonisch zur Antwort: „Naja, er hält sich halt für eine Kuh.“ Und genau so ist das mit mir. Mangels besseren Wissens halte ich mich einfach für einen Schachspieler. Bemerkenswert dabei ist ,wie viele meiner Gegner sich davon blenden lassen. Scheinbar habe ich es im Lauf der Jahre im Vorspiegeln falscher Tatsachen zu einer gewissen Meisterschaft gebracht. Imagination ist eben alles.

Aber auch ansonsten bietet der Bildungsbegriff Raum für gewisse dialektischen Unschärfen. Dies war schön an einer Geschichte abseits der Partie zwischen Tigran Poghosyan und Heiko Kitschke zu erkennen. Heiko hatte mutig einen Bauern geopfert und dafür starke Initiative erhalten. Dies war zumindest Konsens unter den üblichen Beobachtern. Aber ein zufällig vorbeischauender Kiebitz war damit überhaupt nicht einverstanden. Er stürmte im Tresenraum auf Ullrich Krause zu und rief: „Was macht Heiko denn da? Jetzt hat er auch noch was weniger! Ich hätte ja niemals den Bauern nach vorne gezogen!“ Ullrich erwiderte, dass er dies nicht beurteilen könnte,da er bisher noch nicht im Spielsal gewesen sei und somit ja gar nicht die Stellung kennen würde. Die Replik überraschte ihn sichtlich. „Ach die Stellung! Die Stellung ist doch egal!“ Manchmal ist konkret vielleicht doch besser als allgemein.

Auch die Sache mit der Erinnerungskultur bezüglich unser Schachgeschichte erwies sich als gar nicht so einfach. Das kollektive Gedächtnis kann einem da schon manchmal einen Streich spielen. Die Partie zwischen Manfred Dürer und Jens Eisheh warf auf dieses Phänomen ein interessantes Schlaglicht. Auf das Brett war ein spanisches Vierspringerspiel gekommen. Eine Eröffnung der Altvorderen mit der sich die meisten sicherlich schon mal beschäftigt und genauso sicherlich gleich wieder vergessen haben. Als Jens viertens a6 zog stellte ich mir unwillkürlich die Frage, ob er denn damit nicht einfach den Bauern auf e5 einstellen würde. Ulrich Sieg was sich diesbezüglich sicher, auch Wolf Reimer runzelte die Stirn während Ullrich Krause mit den Achseln zucken und zu allem Überfluss auch noch beide Kontrahenten keine Ahnung hatten, wie sie freimütig nach der Partie zugaben. Einzig und allein Thomas Thannheiser von dem es heißt, dass er abends mit Tarrasch in´s Bett geht um morgens mit Nimzowitsch aufzuwachen, wusste mal wieder Rat. „Ach, das ist gar kein Problem. Bei genauem Spiel erhält man den Bauern zurück und dann ist gar nichts mehr los.“ Und genau so kam es dann auch, wobei Jens für die richtige Abwicklung dann doch ein gerüttelt Maß an eigenen Hirnschmalz verbraten musste. Aber wie sagte schon der amerikanische Philosoph George Santayana:“ Wer seine Geschichte nicht kennt,der ist dazu verdammt die Züge selber am Brett zu finden.“

Von der Geschichte ist es nicht weit zur Tradition. Aber hier unterscheidet der Minister ganz fein. Tradition das bedeutet Riten und Orte der Erinnerung. Wer wüsste dies nicht? Jedes Mal wenn ich zum Beispiel in der Stavenstraße vor den Gemäuern unseres alten berühmt-berüchtigten Spiellokales stehe, dann keimt in mir der Wunsch auf einfach mal an zu klopfen,in der einen Hand einen Würfelbecher in der anderen eine Zigarrenkiste um den mir nun die Tür öffnenden neuen Besitzer eine Partie 16 tot anzubieten. Dass ich es dann doch immer wieder lasse, liegt in der Erkenntnis begründet, dass es gerade in der heutigen Zeit wohl recht unwahrscheinlich ist auf´s Geratewohl auf einen Zigarre rauchenden Würfelspieler zu treffen. Tradition ist eben doch um einiges individueller als man so gemeinhin glaubt.

Ulrich Sieg kann davon ein Lied singen. Seine letzte Partie gegen Andreas Jordan verlief sozusagen gemäß seiner eigenen Tradition. Früh stand er sehr gut, verdichtete seinen Vorteil, kämpfte und rackerte, aber am Ende stand doch wieder der obligate Friedensschluss. Der Legende nach hat Ulrich gleich nach der Geburt seiner Mutter ein Remis angeboten,was diese auch augenblicklich annahm. Welche Mutter hätte das nicht getan? Aber diese frühkindlichen Ereignisse sind naturgemäß fürs ganze Leben prägend. Und so müht sich Ulrich, zumeist erfolglos, den Ergebnissen seiner Partien den Ruf des Determinismus zu nehmen. Aber andererseits wollen gute Traditionen ja auch gepflegt sein. Und hatte nicht schon der Lübecker Dalai Lama gesagt, dass Remis ein schönes Ergebnis sei?

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass wenn man sich akribisch an die Regeln der sachlichen Leitkultur hält, einem der Platz an der Landesligasonne sicher ist. Dies führt dann zu Ruhm. Ehre und einem stark ausgeprägtem Selbstvertrauen. Letzteres möchte ich abschließend an einem Dialog zwischen Tigran und mir irgendwann während der Saison belegen. „Tigran um dich habe ich mir große Sorgen gemacht. Deine Stellung erschien mir doch arg anfällig und wackelig zu sein.“„Ach echt? Das hast du falsch eingeschätzt. Ich hatte wie immer alles die ganze Partie über voll im Griff, Dicker!“

Mit einer Sache hat er auf jeden fall recht.

PS: mir ist gerade aufgefallen, dass ich völlig vergessen habe darauf hinzuweisen, dass natürlich die Religion der soziale Kitt des Schachspiels ist. Aber das ist ja eigentlich auch selbstverständlich, gerade zu tautologisch. In diesem Sinne freue ich mich schon auf die nächste Saison. Shalom, Inschallah und Amen.